Am 31.12.2021 haben wir uns letztmalig mit der Netzfrequenz unserer Stromversorgung beschäftigt.
„Letztmalig“ ist dabei nicht im Sinne von zum „allerletzten Mal“ zu verstehen. Mit der Netzfrequenz in Zusammenhang stehende Probleme haben ausgprägten Murmeltiercharakter. Wir werden sie deshalb auch in Zukunft nicht ignorieren können, zumal wir den Verdacht haben, sie werden sich im kommenden Winter verschärfen.
Jörg Diettrich, einer der führenden Köpfe unseres Teams, zeichnet die Netzfrequenz seit Ende 2021 kontinuierlich auf. Seine Daten zeigen tagtäglich mehr oder weniger starke Frequenzeinbrüche. Der Grund dafür sind Ab- und Zuschaltungen von Stromerzeugern, insbesondere ganzen Kraftwerksblöcken mit hoher Leistung.
Strom ist in unserem Wirtschaftssystem ein Handelsgut. Wie damit gehandelt wird, haben wir schon mehrfach kritisiert. Großverbraucher schließen mit großen Stromerzeugern langfristig Stromlieferverträge ab. Wenn der Zeitpunkt der vertraglichen vereinbarten Stromlieferung gekommen ist, werden die o.g. Schaltoperationen ausgeführt. Im Regelfall geschieht das nach Ablauf einer vollen Stunde, womit das Netz namentlich von großen Marktteilnehmern sehenden Auges zu diesen Zeitpunkten stärker als rein technisch notwendig belastet wird. Mehr noch: jede solche Umschaltung stellt eine Gefährdung unserer Stromversorgung dar, weil das Netz mitunter regelrecht unter Stress gerät.
Am 14.6.2022 war es mal wieder so weit. Um 22:04 Uhr konstatierte Jörg Diettrich einen Frequenzeinbruch auf 49,855 Hz, was einem Leistungsdefizit von 2.000 MW entspricht.
Das Absacken der Netzfrequenz auf diesen Wert wurde von unserem Partner Jens Müller bestätigt, der auf seiner Webseite auf weitere ähnlich kritische Zustände hinweist, die in letzter Zeit aufgetreten sind.
Ab 49,8 Hz wird es schon richtig kritisch – dann greifen erste Abschaltungen. Tritt in einer solchen Situation zusätzlich zu der aus marktorganisatorischen Gründen geplant hingenommenen Abweichung eine ungeplante Störung ein, ist ein größerer Zusammenbruch des Netzes so gut wie sicher. Hierfür infrage kommen Probleme in Umspannwerken, Ausfälle größerer, schon stark belasteter Stromtrassen oder großer Kraftwerksblöcke; alles schon da gewesen.
Stromhandel funktioniert prinzipbedingt eher virtuell. Der georderte Strom eines realen Lieferanten kommt physikalisch nie beim Verbraucher, also dem Vertragspartners an. Solange das Netz intakt ist, bekommt der Verbraucher seinen Strom, woher, ist letztlich auch ihm völlig egal. Wir haben es somit mit zwei Welten zu tun; der virtuellen des Stromhandels und der realen physikalischen. Die erste folgt den vom Menschen erdachten Regeln, die durch und reale Ab- und Umschaltungen Auswirkungen auf die physikalische, den Naturgesetzen entsprechende Welt haben. Die menschengemachten Regeln sind jedoch mehr auf Gewinnerzielung als auf Netzstabilität ausgerichtet. Rein physikalische betrachtet, sind sie völlig sinnfrei. Genau das gefährdet unsere Versorgungssicherheit und verursacht immense Kosten vor allem für den Endverbraucher.
Es ist physikalisch definitiv nicht notwendig, einen laufenden Stromerzeuger an einer Stelle abzuschalten und an einer völlig anderen Stelle einen anderen Stromerzeuger hochzufahren wenn das für die Stromversorgung keinen Unterschied macht.
Warum verfolgt man nicht die Idee, den virtuellen Stromhandel mit einer virtuellen Abrechnung zu koppeln? Um- und Abschaltungen wären dann nur noch netzdienlich notwendig.
Sollten Unternehmen, neben ihren betriebswirtschaftlichen Interessen, nicht auch in volkswirtschaftlichen Dimensionen denken? Eine sichere Energieversorgung ist gerade für die Industrie von enormer Bedeutung. Ein flächendeckender Stromausfall verursacht nicht nur aber vor allem für die Industrie immense Schäden. Eine stabile Stromversorgung ist essenziell für unsere ganze Gesellschaft. Die Verantwortlichen in Wirtschaft und Politik sollten niemals vergessen: Ohne Strom geht gar nichts mehr.