Offener Brief an einen Windmüller

Sehr geehrter Herr Kiene,

mein Name ist Jörg Diettrich. Ich bin Mitglied und Autor des Teams Orangebuch und erlaube mir, eine Aussage aus Ihrem am 17.09.2022 veröffentlichten Kommentar zu zitieren:

Ich möchte gern den nächsten Bäcker mit bezahlbarem Strom beliefern, die nächste Siedlung oder die nächste Fabrik. Ich darf es nicht.“

Physik und die ihr widersprechenden Regeln

Wie Sie selbst wissen, findet das, was Sie durch untaugliche Marktregeln buchhalterisch nicht dürfen, rein physikalisch bedingt trotzdem statt.

Mit einer installierten Leistung von mindestens 8 MW speisen Sie vermutlich in ein 110 kV Umspannwerk ein. Dieses Umspannwerk versorgt alle Verbraucher in seinem Einzugsgebiet. Das sind dann eben genau der nächste Bäcker, die nächste Fabrik und nicht zuletzt all die kleinen privaten Verbraucher. Es gibt Anbieter die scheinbar Lösungen für Ihr Problem anbieten; möglicherweise auch in Ihrem Umfeld.

Allerdings basieren diese Lösungen primär auf dem Marktprämienmodell oder, wie es irreführend heißt, auf „Sonstiger Direktvermarktung“. Beides läuft darauf hinaus, dass der Direktvermarkter als Zwischenhändler den erzeugten Strom des Anlagenbetreibers wiederum nur an der Börse verkauft. Eine tatsächliche Direktvermarktung unter Umgehung der Börse mit einem fairen Angebot an lokale Stromkunden wurde durch eine der vielen EEG-Novellierungen schon vor Jahren abgeschafft.

Sollten wir nicht gemeinsam ein Zurück zur alten praktikablen Lösung fordern?

Mögliche physikalische Szenarien und Folgerungen daraus

Ihr lokales Umspannwerk ist über eine oder mehrere 110 kV Leitungen mit dem übrigen Verteilnetz verbunden. Der Strom- oder besser der Leistungsfluss wird an diesen Netzübergängen permanent gemessen und aufgezeichnet; u.a. an dem, an dem Ihre Windkraftanlagen einspeisen.

Ist der Leistungsbedarf aller Abnehmer in Ihrem Einzugsgebiet im Idealfall z.B. 8 MW und entspricht damit genau Ihrer Einspeiseleistung, fließt kein Strom mehr aus dem übrigen Verteilnetz (und übergeordneten Übertragungsnetz) in das Umspannwerk. D.h. Sie versorgen genau alle „Ihre“ Verbraucher mit Ihren Windrädern. In diesem theoretischen Idealfall wäre die Netzlast für alle neben- und übergeordneten Leitungen Null. Das gilt insbesondere für das Übertragungsnetz. Netzentgelte sind grundsätzlich an die Netznutzung gebunden. Ihre Kunden müssten deshalb in diesem Gleichgewichtszustand komplett von den Netzentgelten der Übertragungsnetzbetreiber befreit sein. Im Realfall (bestehende Defizite durch zu wenig Wind und damit Unmöglichkeit, den Bedarf zu decken) sollten sie eigentlich deutlich weniger zahlen. Dieser Aspekt des „Marktes“ ist aktuell von gesteigertem Interesse, da die Übertragungsnetzbetreiber vor ein paar Tagen postulierten, ihre jährlichen Kosten hätten sich von 5 auf 18 Mrd. Euro erhöht, was zu einer Verdreifachung der Netzentgelte für Übertragungsnetze führen würde. Ein Artikel dazu wird bis zum Wochenende auf unserer Webseite erscheinen.

Im ungünstigsten Fall signalisiert Ihnen der Verteilnetzbetreiber, dass er Ihren Strom gerade nicht gebrauchen kann und Ihre Windkraftanlagen deshalb komplett abregeln muss. Das Gleichgewicht zwischen Erzeugung und Bedarf muss schließlich jederzeit gewahrt werden. Auch Überschüsse können Netzausfälle hervorrufen. Die Energie, die Sie lokal nicht produzieren dürfen, kommt in diesem Szenario von weiter entfernt stehenden, in der Regel fossilen Kraftwerken. Die Belastung des Netzwerkes steigt, insbesondere die des dem 110 kV-Netz vorgelagerten Übertragungsnetzes.

Abregelungen sind also nicht nur volkswirtschaftlich betrachtet ein absolutes NoGo – sie erhöhen tendenziell die Netzlast der Übertragungsnetze.

Netzausbau sollte nicht dort stattfinden, sondern auf den niederen Ebenen, so dass EE-Erzeuger ihren Strom möglichst immer zu ihren Kunden transferieren können. Und vor allem sollte dieser Ausbau durch Speicher flankiert werden, um die Bereitstellung von EE-Strom zu verstetigen.

Preisbildung

Die Aufzeichnung des Leistungsflusses an Ihrem Einspeisepunkt würde dokumentieren, wie viel Strom Sie tatsächlich geliefert haben. Sie könnten dabei den Preis pro Kilowattstunde für Ihre Kunden bestimmen und wären nicht länger an die durch die Zockerregeln der Börse ermittelten Preise gebunden. Der Verteilnetzbetreiber könnte aus Ihren Preis und dem anderer lokaler Anbieter einen dynamischen Mischpreis pro Stunde für sein Einzugsgebiet bilden. Summiert man die Stundenpreise auf, erhält man z.B. die Monatsrate für Ihren Bäcker.

Sind Sie zu teuer (was nicht zu erwarten ist, solange fossile Erzeugung noch eine Rolle spielt), wird Ihnen der Verteilnetzbetreiber, den Strom nur noch dann abnehmen, wenn er zur Deckung des Bedarfs notwendig ist.

Liegen Ihre Preise unter dem Schnitt, sollten Sie vielleicht investieren, um Ihren Marktanteil zu erhöhen; zur Aufrechterhaltung konstanter Lieferungen ggf. auch in Speicher. Ob sich letzteres lohnt, obliegt Ihrer unternehmerischen Weitsicht. Nach meiner Beobachtung müsste der Speicherausbau sehr viel stärker subventioniert werden anstatt Steuermittel für neue Fernübertragungsleitungen zu verbrennen, deren Notwendigkeit unser gesamtes Team infrage stellt.

Summa summarum würde der Verteilnetzbetreiber die Rolle der Börse übernehmen, allerdings mit zwei wichtigen Unterschieden: Zum einen hätte der Mittelstand auf regionaler Ebene Vorfahrt vor den Interessen der großen Energiekonzerne hat, zum zweiten könnte man hier auf das unselige Merit-Order-Prinzip verzichten.

So sähe für uns ein Markt aus, auf dem echter Wettbewerb stattfindet. Dieser Markt, bundesweit etabliert, würde sehr schnell faire Strompreise für alle Verbraucher hervorbringen.

Was wir haben, ist kein solcher Markt, sondern vielmehr die Perversion desselben, mit Folgen die viele Menschen in unserem Land nicht nur be-, sondern zunehmend überlasten.

Sonnige Grüße aus Thüringen in den windstarken Norden

J. Diettrich.

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