Seit dem 24.02.2022, 04.00 Uhr ist Krieg. Mitten in Europa. Krieg ist durch absolut gar nichts zu rechtfertigen. Das gilt auch für Putins Krieg. Putin selbst wird seinen Platz in der Galerie der größten Verbrecher der Menschheitsgeschichte finden.
Unsere Gedanken sind bei den Menschen in der Ukraine, die unverschuldet gezwungen sind, um das Überleben ihres Landes zu kämpfen und dabei sehr leicht das eigene Leben verlieren können. Unsere Gedanken sind bei den Menschen in Russland, die mutig gegen Putins Krieg auf die Straße gehen und dabei die Repressionen eines autoritären Regimes in Kauf nehmen.
Es bleibt allein die Hoffnung, dass die Lage nicht weiter eskaliert.
Wir haben uns in den vergangenen Wochen zu den stark gestiegenen Energiepreisen geäußert. Wir haben in mehreren Artikeln auf die Gefährdung der Versorgungssicherheit hingewiesen. Unser letzter Beitrag setzte sich kritisch mit dem aktuellen Szenariorahmen der Übertragungsnetzbetreiber auseinander. Die neue Situation bestätigt unsere Warnungen leider auf eine äußerst bedrohliche Art und Weise.
Die Politik reagiert
Der Deutsche Bundestag traf sich am 27.02.2022 zu einer Sondersitzung, auf der Kanzler Scholz, seine Koalitionäre von Grünen und FDP und die in der Opposition befindliche Union ihre Strategie für die nächsten Jahre umrissen. Die Redner der genannten Parteien zeigten dabei eine ungeahnte Einigkeit in ihren Ausführungen. Verkürzt gesagt laufen die Pläne für die nächsten Jahre auf Folgendes hinaus:
a) Wir müssen unsere Wehrbereitschaft stärken. Dazu soll kurzfristig, so Scholz, ein 100 Mrd. Euro umfassendes Sondervermögen gebildet werden, dass der Bundeswehr zugute kommt. Man beachte das Wording, mit dem Herr Scholz diese neue Schuldenposition im Staatshaushalt umschreibt. Wer dieses „Sondervermögen bildet“, dürfte klar sein. Bedenklich fanden wir den nahezu allumfassenden Applaus der Parlamentarier, mit dem diese Ankündigung des Kanzlers bedacht wurde. Muss man wirklich so laut klatschen, wenn die 100 Mrd. Euro im zivilen Sektor weit besser angelegt wären? Vor allem das Feiern sollten die von uns in den Bundestag gewählten Volksvertreter doch lieber den Aktionären von Rheinmetall, Kraus-Maffei Wegmann & Co überlassen.
b) Wir müssen die Erneuerbaren Energien beschleunigt ausbauen. Wer hätte das gedacht! Und wer hat den Ausbau der Erneuerbaren in der Vergangenheit hintertrieben? Die kritische Lage, in der wir uns heute wiederfinden ist das Resultat jahrzehntelanger verfehlter Energiepolitik.
Bemerkenswert fanden wir in diesem Zusammenhang die Aussage von Finanzminister Lindner:
„Erneuerbare Energien lösen uns von Abhängigkeiten. Erneuerbare Energien sind deshalb Freiheitsenergien.“
Wir sind sehr gespannt, wie schnell diese ganz neue Erkenntnis Lindners Raum greift. Von einem 50 Mrd. Sofort-Programm für den PV-Ausbau und weiteren 50 Mrd. für Stromspeicher und Elektrolyseure war in der Debatte erst einmal keine Rede. Wir hegen daher die begründete Befürchtung, dass es Herrn Lindner genügte, o.g. Aussage rhetorisch gekonnt in den Kontext seiner freiheitsverliebten Partei zu stellen.
Im Übrigen wäre für die geforderte Beschleunigung des EE-Ausbaus nicht einmal ein weiterer Griff in die Kasse notwendig. Man müsste dafür kurzfristig ein paar Gesetze ändern. Mittel- und langfristig brauchen wir jedoch einen grundlegenden Paradigmenwechsel, weg von einer ausschließlich marktgesteuerten hin zu einer volkswirtschaftlich sinnvollen Energieversorgung. Beides zusammen würde den EE-Ausbau zu einem Selbstläufer zu machen, der netto sogar Steuern generiert anstatt sie zu verbrennen.
Folgende Maßnahmen sollten nunmehr schnellstens umgesetzt werden:
1. Ein beschleunigter EE-Ausbau erfordert Planung und Schaffung einer dazu passenden Infrastruktur. Schon im aktuellen Ausbauzustand fehlen Speicher, was immer wieder zur Abschaltung erneuerbarer Erzeuger und zu Instabilitäten im Stromnetz führt. Es ist demnach dringend notwendig, weitere Infrastruktur-Kurzzeitspeicher hoher Kapazität auf den oberen Netzebenen zur Bereitstellung von Regelenergie zu errichten. Für das Niederspannungsnetz (230/400V) sind Gesetze so zu gestalten, dass z.B. PV-Kleinspeicher zur Bereitstellung von Regelenergie befähigt werden. Insbesondere muss das Verbot, die Speicher von batteriegetriebenen PKW als einspeisende Quelle zu nutzen fallen.
2. Wir benötigen darüber hinaus dringend saisonale Großspeicher, um die EE-Überschüsse des Sommers für den für den defizitären Winter zu speichern. Im letzten Szenariorahmen der Übertragungsnetzbetreiber spielten derartige Überlegungen immer noch keine Rolle. Dennoch gebietet die aktuelle Situation, entsprechende Projekte, zu denen u.a. sehr viel mehr Elektrolyseure gehören als im o.g. Szenariorahmen ausgewiesen, sofort zu beginnen.
3. Vollständiger Abbau der bürokratischen Hemmnisse, die einer stärkeren Bürgerbeteiligung beim EE-Ausbau entgegenstehen. PV-Mieterstrom muss sowohl für den Mieter als auch für den Vermieter ein Geschäftsmodell ohne Hürden werden. Der Staat kann regulierend und fördernd eingreifen, indem er pro installiertem Kilowatt-Peak eine adäquate Ausstattung mit Stromspeicher verlangt.
4. Direkter Stromhandels, der kleinere Anbieter in die Lage versetzt, ihren Strom lokal zu vermarkten, darf nicht weiter durch Gesetze behindert werden. Dies würde die Motivation zum Ausbau der Erneuerbaren in der gesamten Bevölkerung deutlich erhöhen, weil sowohl Anbieter als auch Abnehmer von EE-Strom davon stark profitieren. Gleichzeitig wäre dies ein Betrag zur Dezentralisierungen der Stromnetze, die weiterem Netzausbau entgegenwirkt.
5. Bürgerenergiegenossenschaften dürfen nicht länger durch ein unfaires Ausschreibungsrecht an ihrer Geschäftstätigkeit behindert werden.
6. Initiale Förderung speichergestützter Agri-PV, die eine duale Nutzung des Bodens erlaubt. Aufgrund der höheren Kosten für den Aufbau derartiger Strukturen ist eine solche Förderung unserer Meinung nach notwendig. Da sich Agri-PV für bestimmte Kulturen ertragssteigernd auswirken kann, könnten Teile der Agrarsubventionen als Fördermittel verwendet werden.
7. Die kürzlich von Investoren bejubelte EU-Taxonomie ist offiziell als Totgeburt zu erklären. Mit dem schon kurzfristig sehr wahrscheinlichen Ausscheiden Russland als Lieferant von Erdgas und der Unmöglichkeit adäquate Gasmengen aus anderen Ländern zu beziehen, ergibt sich eine Situation einer massiven Unterdeckung des deutschen Gasbedarfs. Der Bau neuer Gaskraftwerke erscheint uns daher noch weniger sinnvoll als vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine. Investorengelder müssen vielmehr ausschließlich in Projekte Erneuerbarer Energien gelenkt werden.
c) Russland muss hart sanktioniert werden. Es liegt außerhalb unserer Kompetenz die Sanktionen des Westens gegen Russland im Einzelnen zu bewerten. Wir beschränken uns auf das Gebiet der Energieversorgung und landen dabei unweigerlich wieder bei der Gasfrage. Das Taktieren Deutschlands um das Banken-Zahlungssystem Swift hat gezeigt, wie heikel diese Frage tatsächlich ist. Wenn Deutschland formal daran gehindert wird, seine russischen Gaslieferungen zu bezahlen, wird Russland kein Gas mehr liefern. Dies hätte gravierende Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft. Deutschland bezieht 55% seines Erdgases (nebenbei gesagt auch jede Menge Steinkohle und Erdöl) aus Russland. Nun ist der Ausschluss Russlands von Swift beschlossene Sache. Inwieweit russische Erdgaslieferungen in den nächsten Tagen und Wochen trotzdem noch stattfinden, wissen nur unsere Geheimdiplomaten, die entsprechende Deals mit den russischen Stellen aushandeln konnten oder eben auch nicht. Mit Russland werde es „kein Business as usual mehr geben“, verkündete Finanzminister Lindner in seiner sonntäglichen Rede im Bundestag. Das mag im Ganzen betrachtet stimmen, im Einzelnen haben „tüchtige Geschäftsleute“ auch in vergangenen Kriegen immer Wege gefunden, wirtschaftliche Beziehungen über Frontlinien hinweg aufrecht zu erhalten. Man sollte sich dabei über zwei Fakten im Klaren sein: Unser Geld finanziert Putins Krieg und Putin kann selbst uns den Gashahn zudrehen. China ist ein dankbarer Abnehmer russischen Gases.
d) Renaissance von Kohle und Atomstrom. Dies war nicht Gegenstand der Bundestags-Debatte, jedoch meldeten sich die üblichen Verdächtigen, wie Sachsens Ministerpräsident Kretschmer anderswo zu Wort und stellten den Kohleausstieg 2030 infrage. Auch die Verlängerung der Laufzeit der Atomkraftwerke wird diskutiert, was jedoch von den Betreibern selbst bis Ende Februar abgelehnt wurde.
Auswirkungen auf die Bürger
Machen wir uns nichts vor. Dieser Krieg wird schwere Auswirkungen auf unser Leben haben, selbst dann, wenn er nicht weiter eskaliert, was nach Lage der Dinge eher unwahrscheinlich ist. Den Patriotismus, den uns unsere Volksvertreter und führenden Politiker am Sonntag im Bundestag vorlebten und der anfangs vielleicht auf Teile der Bevölkerung abfärbt, teilen wir nicht. Er wird sein Ende finden, wenn die an sich schon immensen Energiepreise nochmals kräftig ansteigen, wenn Strom nicht mehr für alle Menschen erschwinglich ist, wenn das Heizen der Wohnung mit Gas für einige zum Luxus wird. Grundnahrungsmittel werden sich ebenfalls verteuern, weil sowohl Russland als auch die Ukraine wichtige Weizenlieferanten sind.
Wirtschafts- und Klimaschutzminister Habeck verkündete am 28.02.2022, man würde die Stromversorger per Gesetz dazu verpflichten, die Abschaffung der EEG-Umlage zum 01.07.2022 voll an die Endverbraucher weiter zu geben. Wir reden hier über 3,7 ct/kWh. In dem Zusammenhang stellen wir uns einige Fragen: Warum ist ein solches Gesetz überhaupt notwendig? Hat man etwa kein Vertrauen in die (großen) Marktteilnehmer? Wieso kann der allmächtige Markt diese Dinge nicht regeln? Wie will man die Einhaltung des Gesetzes, das im Moment nur als Entwurf existiert, kontrollieren? Wir halten diese Ankündigung für reine Symbolpolitik, die Stromanbieter nicht davon abhalten wird, Gründe, ob berechtigt oder nicht, für Strompreiserhöhungen zu finden.
Eine Farce sind gleichfalls die Almosen, die man den wirklich Bedürftigen in unserem Lande verspricht. Diese werden bei weitem nicht ausreichen, die zusätzlichen Kosten, die auf diese Bevölkerungsgruppe konkret zukommen, zu kompensieren.
Von einer höheren Besteuerung großer Einkommen und Vermögen ist nach wie vor nichts zu hören, obwohl das in unruhigen Zeiten früher durchaus üblich war.
Die Lasten dieses Krieges wird der Normalbürger tragen. Ein bewährtes Schema, wie u.a. Corona zeigt. Wie lange es sich noch bewährt, hängt u.a. davon ab, wie sich die Lage weiter entwickelt.
Um es nochmals ganz klar zu sagen: Krieg ist durch nichts und niemanden zu rechtfertigen. Putin ist ein Kriegsverbrecher, der in den Haag vor Gericht gestellt werden muss. Uns fallen das allerdings noch ein paar andere Namen ein, die ebenfalls die Reise nach den Haag antreten müssten, auch wenn ihre Verbrechen schon ein paar Jahre zurück liegen.
Lügen und Heuchelei zur Rechtfertigung eines Angriffskrieges sind kein Alleinstellungsmerkmal Putins.
Um das Blutvergießen zu stoppen brauchen wir einen sofortigen
Waffenstillstand.
Dieser lässt sich nur durch auf Augenhöhe geführten Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland unter Einbeziehung der internationalen Gemeinschaft erreichen.