In letzter Zeit häufen sich Meldungen, die vor Problemen mit der Stromversorgung im kommenden Winter warnen. Hervorzuheben ist dabei die Stellungnahme des Leiters des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Ralph Tiesler, vom 19.11.2022, der Stromausfälle in Deutschland, die über „das bisherige Maß hinausgehen“ für sehr wahrscheinlich hält.
Die Aussage des BBK-Präsidenten vom 19.11.2022
Tiesler erklärte gegenüber der Welt am Sonntag wörtlich:
„Wir müssen davon ausgehen, dass es im Winter Blackouts geben wird. Damit meine ich eine regional und zeitlich begrenzte Unterbrechung der Stromversorgung.“
Da hat der Jurist Tiesler begrifflich nicht ganz sauber argumentiert, weil notwendige und meistens geplante „regional und zeitlich begrenzte Unterbrechungen“ eben kein Blackout sind. Letzterer könnte ganze Länder und im Extremfall das gesamte europäische Verbundnetz unvorhergesehen betreffen – mit unübersehbaren Folgen.
Hinsichtlich geplanter Abschaltungen sind wir in unserem Beitrag vom 23.09.2022 jedoch zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen, ohne den Blackout völlig auszuschließen. Ausführlich wird die aktuelle Situation in einer Dokumentation der ZDF-WISO-Redaktion vom 01.08.2022 betrachtet, die wir uns allerdings definitiv nicht zueigen machen. Sie enthält zu viele altbackene Argumente von Leuten, die immer noch daran glauben, die fossilen Energieträger wären die Lösung aller Probleme.
Die Rolle rückwärts
Bereits am 20.11.2022 bezeichnete das BBK die Äußerungen des eigenen Chefs in der Tagesschau als „missverständliche Formulierung“. Man will schließlich keine Panik verbreiten. Wollen wir auch nicht. Dafür fühlt sich die Springer-Presse zuständig.
Andererseits trauen wir dem neu verbreiteten Optimismus des BBK, gestützt durch Aussagen der Bundesnetzagentur (BNetzA) auch nicht über den Weg, insbesondere, was folgende Behauptung in der „Richtigstellung des BBK“ angeht:
„Auch werde die Wahrscheinlichkeit als gering beurteilt, dass es regional und zeitlich begrenzt „zu erzwungenen Abschaltungen“ kommt, um die Gesamtversorgung sicherzustellen. Die Behörde bedauere „die missverständliche Formulierung“ Tieslers und stelle diese hiermit klar.“
Erzeugung und Verbrauch
Die Argumentationen von BBK und BNetzA beziehen sich vornehmlich auf die Stabilität des Stromnetzes. Das Netz ist allerdings unserer Meinung nach gar nicht das Problem, sondern die zur Verfügung stehenden Erzeugerkapazitäten.
Wir haben in Deutschland einen Spitzenlastbedarf von ca. 85 Gigawatt. Wenn uns in einem harten Winter der Brennstoff ausgeht, bleiben uns als (einigermaßen) gesicherte Erzeuger nur die Braunkohlekraftwerke. Mit diesen Kraftwerken und einigen weiteren Optionen können wir, optimistisch geschätzt, etwa 40 Gigawatt Grundlast bereitstellen. Der Rest muss von den Erneuerbaren, aus Speichern oder dem Ausland kommen.
Eine Schlüsselrolle bei den Brennstoffen spielt Erdgas. Nehmen wir an, das Gas wird knapp und die Menschen fangen in Größenordnungen an, elektrisch zu heizen. Dann werden wir Lastsituationen jenseits der 85 GW sehen. Die von den Medien wortreich bejubelten vollen Gasspeicher reichen im besten Fall 10 Wochen. Reine Gaskraftwerke ohne Kraft-Wärme-Kopplung werden bei Verknappung nicht mehr liefern. Nehmen wir weiterhin an, der Import von Strom gestaltet sich schwierig, weil insbesondere Frankreich mit seinen maroden AKW eher auf unsere Exporte angewiesen ist, dann sind geplante Abschaltungen zum Stromsparen unvermeidlich, egal was die Spezialisten in den verantwortlichen Behörden beteuern. Im Gegensatz zur BNetzA behaupten wir, dass die Wahrscheinlichkeit solcher Abschaltungen groß ist. Wir sehen das genau wie Ralph Tiesler. Nur ein milder Winter kann uns davor bewahren. Wir sollten also vorbereitet sein und uns damit trösten, dass temporäre, geplante Abschaltungen gegenüber einem katastrophalen Blackout in der aktuellen Situation hingenommen werden müssen. Sie könnten die einzige Lösung sein, ein allgemeines Desaster abzuwenden. Immerhin existiert ein Praxis-Leitfaden für unter-stützende Maßnahmen von Stromnetzbetreibern der Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. (bdew) und des Verbandes kommunaler Unternehmen e.V. (VKU) aus dem Jahre 2014, in dem die bei Systembilanzstörungen und Netzengpässen zu treffenden Maßnahmen detailliert beschrieben werden. Der „rollierende Betrieb“ gehört zu diesem Instrumentarium.
Sind wir vorbereitet?
Menschen, die es sich leisten können, kaufen derzeit verstärkt Balkonkraftwerke, Notstromaggregate und Batterien, was im Einzelnen durchaus helfen kann. Betreiber von Solaranalgen haben oft eine Notstrom-Option in ihre Anlage integriert und befinden sich deshalb in einer vergleichsweise komfortablen Lage. Wie aber sieht es mit den kommunalen Behörden aus?
BBK-Chef Tiesler übte diesbezüglich deutliche Kritik,
„dass staatliche Stellen nicht immer ausreichend für Krisenlagen wie Stromausfälle gewappnet seien.“
Notstromaggregate sind in der Regel nur bei der Feuerwehr vorhanden. Bei lokalen Abschaltungen wird es keinerlei unterstützende Maßnahmen geben.
Die gesamteuropäische Sicht
Völlig unklar ist der Weiterbetrieb des europäischen Stromverbundes. Jeder Nationalstaat ist in erster Linie für die Versorgung seiner eigenen Bevölkerung verantwortlich. Mit Ausnahme von Norwegen könnten alle europäischen Länder im Winter vor ähnlichen Probleme wie Deutschland stehen. Im Falle einer unbedingt gewollten Aufrechterhaltung des europäischen Verbundbetriebes steigt die Gefahr eines europaweiten Blackouts massiv an. Insofern glauben wir nicht, dass dieser unbedingte Wille bei den Behörden der einzelnen Länder tatsächlich vorhanden sein wird, wenn es hart auf hart kommt. Netztrennungen auf Länderebene wären die Folge. So unsolidarisch das klingt: Auch dieses Szenario ist besser als jeder flächendeckende Blackout.
Und warum das alles?
Putin ist schuld, weil er kein Gas mehr liefert? Das ist die Ausrede all derer, die noch im Januar diesen Jahres die EU-Taxonomie für Atomkraft und Gas ausriefen und beide Energiequellen als „nachhaltig für Investitionen“ adelten. Warum redet eigentlich heute niemand mehr davon? Ist es so schwer, Fehler einzugestehen? „Ich mach mir die Welt so wie sie mir gefällt“ könnte die Zukunft der falsche Leitspruch sein.
Der Ukraine-Krieg ist lediglich Katalysator einer sich seit Jahren verschärfenden Energiekrise. Was wir gerade erleben, ist das Ergebnis einer jahrelangen verfehlten Energiepolitik unter Missachtung physikalischer Grundlagen, von ökologischen Aspekten nicht zu reden.
Wenn wir wenigstens aus den Fehlern lernen würden. Wo bleibt der massive Speicherausbau? Warum dauern Genehmigungen für Windkraft- und Solaranlagen immer noch länger als der Bau von LNG-Terminals, die uns nebenbei gesagt etwa 6,5 Mrd. Euro kosten. Warum rufen manche sogar nach neuen AKW, wo sich doch gerade in Frankreich zeigt, wie störanfällig diese Technologie unter den veränderten klimatischen Bedingungen ist? Vielleicht haben die Befürworter der Atomkraft darüber hinaus nicht realisiert, dass Russland einer der größten Lieferanten von Kernbrennstoff ist. Im Moment liefert Putin noch an Frankreich.
Warum werden fertige EE-Anlagen nicht sofort in Betrieb genommen? Können wir uns die Ausrede „die zuständige Behörde war gerade überlastet“ wirklich noch leisten?
Sind langfristige Investitionen in teure fossile Energieträger tatsächlich der bessere Weg statt den Ausbau der Erneuerbaren endlich im notwendigen Maß zu beschleunigen?
Bis Mitte 2024 wollen wir unabhängig von russischem Gas sein. Bis dahin kommt ein weiterer Winter. Manche sagen, der kommende wird hart, der darauffolgende aber noch viel härter.